Die schottische Moralphilosophie sah den Ursprung der Moral, und zwar sowohl das Prinzip der Moral als auch das Motiv moralischen Handelns, in einem moralischen Sinn (moral sense). Kant bricht radikal mit dieser Tradition: die Moral besteht in einem Gesetz a priori; als kategorischer Imperativ soll sich dieses Gesetz gegen die Neigungen durchsetzen. Als einziges moralisches Gefühl gilt nur noch der Respekt, der mit einer Unterdrückung der sinnlichen Neigungen verbunden ist. Schopenhauer, dann Nietzsche sehen nicht nur den Ursprung der Moral im Gefühl, sondern erklären die Kantische Moral auch unter diesem Gesichtspunkt und verwerfen sie. Für Schopenhauer besteht der Gegensatz zur Selbstsucht nicht im kategorischen Imperativ, sondern im Mitleid mit dem Schmerz der anderen; der kategorische Imperativ wird als theologisches Muster eines autoritären Gottes „entlarvt“. Für Nietzsche stammt die Moral aus der biologisch verwurzelten Unterscheidung zwischen „Gut“ und „Böse“, als Verhalten der Starken bzw. der Schwachen. Erst eine durch die Schwachen als Ressentiment durchgeführte Umkehrung der Moral – sprich: der Verhaltensregeln – zu einer asketischen bzw. Kantischen Moral ermöglicht es, die Moral der Starken als „böse“ und die der Schwachen als „gut“ zu bezeichnen. Kant, Schopenhauer und Nietzsche halten die Moral für die zentrale Frage der Philosophie. Ist aber die Moral eine Sache der Vernunft, des Gefühls oder der biologisch-physischen Verfassung? Das Proseminar wird die angeführten Argumente untersuchen. Es ist auch für Anfänger geeignet.
Primärliteratur:
Kant, Immanuel (1785): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
Schopenhauer, Arthur (1839): Das Fundament der Moral
Nietzsche, Friedrich (1887): Zur Genealogie der Moral
Sekundärliteratur:
Grün, K.-J. 2000: Arthur Schopenhauer, München: C.H.Beck
Hauskeller, M. 1998: Vom Jammer des Lebens. Einführung in Schopenhauers Ethik, München: Beck
Höffe, O. (Hrsg.) 32000: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, Frankfurt a.M.: Vittorio Klostermann
Höffe, O. (Hrsg.) 2004: Nietzsche. Zur Genealogie der Moral, Berlin: Akademie-Verlag.
Janaway, Ch. 1999: Cambridge Companion to Schopenhauer, Cambridge University Press
(die Aufsätze von G. Zöller, P. Guyer, D.E. Cartwright u. S. Gardner)
Hauskeller, Michael 1998: Vom Jammer des Lebens. Einführung in Schopenhauers Ethik, München: C.H.Beck.
Rawls, John 2002: Geschichte der Moralphilosophie, übers. von Joachim Schulte, Frankfurt a.M.: Suhrkamp, Teil „Kant“, 201-421.
Schönecker, D. u. Wood, A.W. 2002: Kants „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten“, Paderborn: Schöningh UTB
Stegmaier, W. 1994: Nietzsches Genealogie der Moral, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Schlacht, R. (Hrsg.) 1994: Nietzsche, Genealogy, Morality: Essays on Nietzsche’s Genealogy of Morals, Berkeley: University of California Press
Steinmann, M. 2000: Die Ethik Friedrich Nietzsches, Berlin: W. der Gruyter
Wood, A. 1999: Kants’s Ethical Thought, Cambridge University Press |