Kommentar |
"Jedes Existierende ist ein Analogon alles Existierenden; daher erscheint uns das Dasein immer zu gleicher Zeit gesondert und verknüpft. Folgt man der Analogie zu sehr, so fällt alles identisch zusammen, meidet man sie, so zerstreut sich alles ins Unendliche. In beiden Fällen stagniert die Betrachtung, einmal als überlebendig, das andere Mal als getötet." (J. W. Goethe [1978]: Maximen und Reflexionen HA Bd. 12, München 368/23).
Ähnlichkeitsempfindungen und Ähnlichkeitsurteile über konkrete, abstrakte, gedachte oder ideale Gegenstände finden sich im sprachlichen und außersprachlichen Handeln allüberall. Sie spielen mit beim Klassifizieren und Ordnen – auch der Wörter; beim Verstehen – auf extravagante Weise z. B. bei den sogenannten Volksetymologien; beim Kreieren und Entwickeln von Neuem, beim Übertragen und Vergleichen, beim Nachmachen und Lernen, beim Abbilden und Modellieren und in vielen anderen Bereichen alltäglichen und wissenschaftlichen Kommunizierens. Viele Theorien verstehen Analogien als den eigentlichen Motor und Modus der Geschichte – also auch der Sprachgeschichte.
Die Vorlesung beschäftigt sich also mit der wohl universalen menschlichen Fähigkeit, Ähnlichkeiten zu erkennen, zu verarbeiten und sowohl im sprachlichen als auch außersprachlichen Handeln herzustellen.
Vorlesung und Seminar werden begleitet von einer Übung Mi. 16.00 hct – 18.00, in der der Stoff der Vormittagssitzungen und allfällige Fragen dazu diskutiert werden sollen.
Vorläufiges Programm:
Auftakt: „LE MONT ANALOGUE“. Schlaglichter aus Kunst, Literatur, Wissenschaft (Daumal, Goethe, Vaihinger, Ehrenstein, Wundt, Jakobson et al.).
Exposition, Relevanz, Fragen: Orten der Analogie im Leben der Sprachen. Annährerungen an Sach- und Wortbereiche.
TEIL I
TRADITIONEN DER ANALOGIE:
1.
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Die Geburt der Analogie (des Analogiedenkens) aus der Mathematik der griechischen Antike.
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2.
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Übergänge von der Denkform zur „Techne“. Übertragungen der Analogie und ihrer Strukturen auf nicht-mathematische Bereiche.
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3.
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Transformationen antiken Analogiedenkens im Mittelalter.
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4.
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Reduktionen des 19. Jahrhunderts.
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4.1
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Ratio der Gesetze und „Launen“ der Analogie. Zur Entstehung einer methodologischen Dichotomie.
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4.2
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Kontroversen um die junggrammatische Position.
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4.3
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Positionsbestimmung: Das Analogische im Gesetz und das Gesetzmäßige der Analogie.
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4.4
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Die Anfänge psychologisch-experimenteller Analogieforschung.
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5.
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Konsequenzen und Erbschaften
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TEIL II
SYSTEMATIK DER ANALOGIE
1.
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Analogie als Gegenstand des (zeitgenössischen) wissenschaftlichen Diskurses.
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1.1
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Philosophie. Teilidentitäten, Verhältnisähnlichkeiten, Ähnlichkeitsverhältnisse. Bedingungen der Möglichkeit von Analogie und die Folgen.
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1.2
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Testen. Analogie in Labor und Computer. Experimente zu Ähnlichkeitserinnerung, semantischem Gedächtnis und ‚Analogical Reasoning‘.
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1.3
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Grammatik. Konzeptionen eines Instrumentariums zur Beschreibung analogischer Prozesse.
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1.4
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Methode. Über den Zugang zu den Analogien der Anderen.
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2.
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Die Ordnung der Analogien. Ein typologischer Vorschlag zu Vorbildorientierungen, Nachahmungen und Ähnlichkeiten im Sprachverhalten.
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3.
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Domänen der Analogie. Strukturen – Relationen – Prozesse – Handlungen: Über das Werden, Verstehen, Ordnen, Lernen, Abbilden …
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4.
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Exempel der Analogie.
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5.
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Das ANALOGISCHE. Struktur, Variabilität und relative Wahrheit von Ähnlichkeitsurteilen.
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TEIL III
Zum Aufbau einer Varietätengrammatik der Analogie
1.
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Einige sprach- und grammatiktheoretische Voraussetzungen zur Beschreibung analogischer Prozesse durch Varietätengrammatiken.
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2.
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Einbettung analogischer Produktionsentscheidungen in Situationen.
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3.
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Probleme der Variablenausstattung von Situationsgraphen. Zwischen Idiosynchrasie und Verallgemeinerung.
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4.
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Fallstudien
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Literatur zum Aufwärmen: Hofstadter, D. R. und die Fluid Analogies Research Group (1996): Die FARGOnauten. Über Analogie und Kreativität. Stuttgart. |