Kommentar |
Die sogenannte Kontrastivhypothese zum Zweitspracherwerb, die vorhersagt, dass Lerner automatisch Strukturen aus ihrer Erstsprache (L1) in die Zweitsprache (L2) übertrügen und diese dann mühevoll abtrainieren müssten, ist in ihrer Reinform so überholt wie die behavioristische Lerntheorie, in der sie entstand, und kann als empirisch widerlegt gelten. Nichtsdestoweniger spielt das L1-Wissen im L2-Erwerb eine große Rolle, und es geht dabei keineswegs nur um den sog. Transfer, sondern auch um die Sensibilisierung für bestimmte sprachliche Phänomene. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, sich mit den Erstsprachen von Lernern zu befassen, denn nur mit entsprechenden Einblicken in die jeweiligen Verhältnisse in der L1 können der Erwerbsprozess und die entstehenden L2-Lernervarietäten verstanden werden. Ein russischsprachiger Lerner z.B., in dessen L1 es keinen Artikel gibt, der das Konzept "Definitheit" ausgedrückt, lernt Deutsch anders als ein französischsprachiger Lerner.
In diesem Seminar werden einige zentrale grammatische Phänomene sprachvergleichend betrachtet, mit Konzentration auf die in Deutschland weit verbreiteten sog. Herkunftssprachen Türkisch und Russisch sowie auf Englisch und Französisch, wobei ein Einbezug auch anderer Kontrastsprachen auf Wunsch gerne ermöglicht wird. Zwar liegt der Schwerpunkt in der Erarbeitung der jeweiligen grammatischen Gegebenheiten, doch sollen auch Lernerdaten (der L2 Deutsch) herangezogen werden, in denen L1-Einfluss nachvollzogen werden kann. |