Kommentar |
Anknüpfend an die neueren Perspektiven der Erinnerungskultur und der Geschichtspolitiken bietet dieses Seminar eine vergleichende Untersuchung der gesellschaftlichen, politischen und geschichtswissenschaftlichen "Vergangenheitsbewältigung" in den Niederlanden und der Bundesrepublik (und der DDR) an. Zu Beginn werden die theoretischen Überlegungen zu den beiden Perspektiven diskutiert, wobei die Arbeiten von Aleida Assmann und Edgar Wolfrum die Leitgedanken liefern. Es folgt ein Überblick des niederländischen Umgangs mit der Besatzungszeit seit 1945, teilweise anhand von offiziellen Gedenkfeiern und Gedenkstätten. Dabei geht es auch um die Frage von Pro oder Contra eines gemeinsamen niederländisch-deutschen Gedenkens. Hinzu kommt ein vergleichender Überblick über die deutsche Erinnerungskultur seit 1945, unter anderem anhand von Helmut Königs Zukunft der Vergangenheit (2007). Gibt es die gleichen Zäsuren in den Erinnerungskulturen, spielte die 68er-Bewegung eine vergleichbare Rolle, gab es in beiden Ländern eine Erinnerungs"politik" und waren darin vergleichbare Politiker führend usw.? Es werden außerdem kontroverse Debatten behandelt, wie die in den Niederlanden über den Kolonialkrieg in Indonesien und über die "grauen" Zonen zwischen Anpassung und Widerstand während der Besatzungszeit und die in der Bundesrepublik über "Deutsche als Opfer". Am Ende des Oberseminars werden die Studierenden nicht nur viele Erkenntnisse über Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in den beiden Gesellschaften gewonnen haben, sondern auch über deren politische Kulturen und ihre Entwicklung in der Nachkriegszeit.
Über die niederländische Erinnerungskultur erschienen auf Deutsch und Englisch in letzter Zeit mehrere Veröffentlichungen, darunter Beiträge in den Jahrbüchern des Zentrums für Niederlande-Studien der Universität Münster und in dem 2011 erschienenen Sammelband Täter und Tabu (hrsg. von Colin u.a.). Über Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in der Bundesrepublik ist im letzten Jahrzehnt sehr viel veröffentlicht worden, und es gibt auch Ansätze zu einem Vergleich der beiden Länder.
Es ist vorgesehen, im Anschluss an diese Veranstaltung eine Exkursion in die Niederlande zu organisieren, bei der die Studierenden unter der Leitung des Gastprofessors verschiedene für die Geschichtspolitik zentrale Institutionen in den Niederlanden, insbesondere Gedenkstätten und Wissenschaftszentren, wie das NIOD (die zentrale Forschungsstelle für den Zweiten Weltkrieg) und das Deutschland Institut in Amsterdam, besuchen und dort mit Experten sprechen. |