Kommentar |
Die auffallend vielfältigen kulturellen Aktivitäten, die aus den verschiedenen europäischen (und auch außereuropäischen) Lagern des 20. Jahrhundert überliefert sind, waren lange Zeit kein wissenschaftliches Thema, galt doch das Diktum Adornos, welches Poesie und Kunst als unvereinbar sah mit dem was unter der Chiffre „Auschwitz“ gefasst wurde. Zwar erhielt die Beschäftigung mit „Lagerliteratur“, d.h. mit den im Nachhinein verfassten literarischen Zeugnissen in der Literaturwissenschaft seit den 90er Jahren einen prominenten Platz, doch die unter den extremen Bedingungen von Verfolgung, Gefangenschaft und drohender Vernichtung „in-situ“ produzierte Kunst (d.h. im geschlossenen Raum des Lagers) wurde in ihrer Besonderheit kaum thematisiert. „Pour survivre là, où en ne survit pas“, so hat die in Ravensbrück internierte Germaine Tillion begründet, dass sie dort eine Operette verfasste. Was bei der Betrachtung der in ganz unterschiedlichen Lagerkontexten entstandenen Kunst auffällt, sind thematische und formale Übereinstimmungen, ist die Wahl ähnlicher Gattungen und Sujets. Ob in den französischen Internierungslagern Rieucros, Gurs, oder Les Milles, ob im holländischen Transitlager Westerbork, im Lager Theresienstadt oder in den KZ’s Ravensbrück oder Buchenwald, überall wurde gedichtet, gemalt, Theater gespielt, oder Musik gemacht. so dass von einer kulturanthropologischen Konstante der „Kunst zu(m) Überleben“ gesprochen werden kann. Jenseits der sehr unterschiedlichen Entstehungskontexte lassen sich auffällige Übereinstimmungen in Formen- und Themenwahl feststellen, die es zu analysieren gilt. In diesem Seminar soll die Kunstproduktion in französischen Lagern und die französischer Häftlinge in deutschen KZ-Lagern ausgehend von aktuellen wissenschaftlichen Arbeiten betrachtet und analysiert werden. Neben literarischen Beispielen sollen Theater und bildende Kunst im Zentrum stehen. Je nach Interessenschwerpunkten der Studierenden ist auch denkbar, Kabarett und Musik einzubeziehen. |
Literatur |
Allgemein und zur Geschichte der Lager
Boitel, Anne: Le camp de Rivesaltes 1941-1942. Du centre d’hébergement au ‘Drancy de la zone libre’. Perpignan : mare nostrum 2000
Doerry, Janine: Das Lager Drancy und die Deportation der Juden aus Frankreich. In: Jah; Kopke; Korb; Stiller (Hgg.): Nationalsozialistische Lager. Neue Beiträge zur NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und zur Gedenkstättenpädagogik. Münster. Klemm und Oelschläger 2006
Eggers, Christian: Unerwünschte Ausländer: Juden aus Deutschland und Mitteleuropa in französischen Internierungslagern 1940-1942. Berlin: Metropol 2002
Gilzmer, Mechtild: Fraueninternierungslager in Südfrankreich. Rieucros und Brens 1939-1944. Berlin: Orlanda Frauenverlag 1994
Grandjonc, Jacques und Theresia Grundtner (Hgg.): Zone d’ombres 1933-1944. exil et internement d’Allemands et Autrichiens dans le sud-est de la France. Aix-en-Provence : Alinea 1990
Grandjonc, Jacques und Theresia Grundtner (Hgg.): Zone der Ungewißheit. Exil und Internierung in Südfrankreich 1933-1944. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1993
Güntzel, Stephan (Hg.): Topologie. Zur Raumbeschreibung in den Kultur- und Medienwissenschaften. Bielefeld: Transcript 2007
Kotek, Joel und Pierre Rigoulot: Le siècle des camps. Détention, concentration, extermination. Cent ans de mal radical. Paris : Lattès 2000
Maugendre, Maelle: De l’exode à l’exil. L’internement des républicains espagnols au camp du Vernet d’Ariège de février à septembre 1939. Paris : Sudel 2008
Peschanski, Denis: la France des camps. L’internement, 1938-1946. Paris : Gallimard 2002
Schwarte, Ludger (Hg.) : Auszug aus dem Lager : Zur Überwindung des modernen Raumparadigmas in der politischen Philosophie. Berlin: Akademie der Künste: Transcript 2007 Zygmunt Baumann: Das Jahrhundert der Lager. In: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, Nr. 1, 1994, S. 28-37
Zur Kunstproduktion in den Lagern
Audhuy, Claire: Le théâtre dans les camps nazis: Réalités, enjeux et postérité. Unveröffentlichte Doktorarbeit, 2013
Dennerlein, Katrin: Narratologie des Raumes. Berlin, New York: de Gruyter 2009
Flagmeier, Renate (1991): Lou-Albert-Lazard: Zeichnungen vom Leben in Gurs. In: Gurs: Deutsche Emigrantinnen in französischen Exil. Berlin: Argon Verlag. S.59-62.
Gaussmann, Angelika: Deutschsprachige bildende Künstler im Internierungs- und Deportationslager Les Milles von 1939-1942. Paderborn: Möllmann 1997
Kasser, Elsbeth: The Artists in Gurs. In: Gurs: Ein Internierungslager in Südfrankreich 1939- 1943 – Sammlung Elsbeth Kasser. Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, Hamburg, Skovgaard Museet. Viborg. 1993.
Mittag, Gabriele: »Es gibt Verdammte nur in Gurs ». Literatur, Kultur und Alltag in einem südfranzösischen Internierungslager 1940-1942. Tübingen: Attempo-Verlag 1996
Nickel, Claudia: Spanische Bürgerkriegsflüchtlinge in südfranzösischen Lagern. Räume – Texte – Perspektiven. Beiträge zur Romanistik. Band 15. Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Mainz 2012
Philipp, Michael (Hg.) : Gurs. Ein Internierungslager in Südfrankreich 1939-1943. Literarische Zeugnisse, Briefe, Berichte. Hamburg: Hamburger Institut für Sozialforschung 1991
Rosenberg, Pnina (2002): Mickey Mouse in Gurs: Graphic Novels in a French Internment Camp, Rethinking History: The Journal of Theory and Practice 6 (3) (Dezember 2002).
Rosenberg, Pnina (2003): L'art des indésirables : l'art dans les camps d'internement français 1939 - 1944. Paris: L'Harmattan.
Sicot, Bernard (Hg.): La littérature espagnole et les camps francais d’internement (de 1939 à nos jours). Actes du colloque international « 70 anos después », Nanterre 2010
Würzbach, Natascha: Erzählter Raum. Fiktionaler Baustein, kultureller Sinnträger, Ausdruck der Geschlechterordnung. In: Jörg Helbig (Hg.): Erzählen und Erzähltheorie im 20. Jahrhundert. Heidelberg: Winter 2001 |