Kommentar |
Vieles von dem, was Aristoteles in seiner Politik-Schrift etwa über Tiere, Frauen, Fremde und Sklaven zu sagen hat, ist ein Dokument einer vergangenen Epoche. Es wirkt auf heutige Leserinnen und Leser streckenweise sicherlich hoffnungslos antiquiert: „Ferner ist im Verhältnis der Geschlechter das Männliche von Natur das Bessere, das Weibliche das Geringerwertige, und das eine herrscht, das andere wird beherrscht“ (Pol. 1254 b 14 f.). Was könnte uns einen lebendigeren Begriff davon geben, wie mühevoll es offenbar war, bestimmte Fortschritte zu erzielen, und wie weit vielleicht der Weg zu anderen Fortschritten hin noch ist?
Anderes, was die Schrift zu bieten hat, ist anregend und betrifft Fragen von aktuellem Interesse, wenn man etwa an den europäischen Einigungsprozess und dessen Zukunftsperspektiven denkt. Beispielsweise: Da wirft Aristoteles die Frage nach den Kriterien der zeitlichen Fortdauer von Staaten als denselben „Individuen“, die sie sind oder waren, auf – Fortdauer etwa auch nach drastischen Verfassungsänderungen?; weiter die Frage nach den Gegebenheiten, die Zusammenschlüsse vieler Menschen zu je einem Staat werden lassen können (in Abgrenzung von bloß bündnisförmigen Konglomeraten); auch die Frage, welche Rolle für die Staatengenese und -fortdauer eventuell eine gemeinschaftlich verantwortete Erziehung der Individuen zu geteilten Werten spielt, die über den Versuch einer Verpflichtung der Bürgerinnen und Bürger auf die Beachtung gesetzten Rechts hinausgeht.
Im Seminar sollen ausgewählte Passagen aus der Politik, voraussichtlich vor allem aus Buch III, in gemeinsamer Lektüre-Arbeit aus dem Griechischen ins Deutsche übertragen, interpretiert und unter Sachgesichtspunkten diskutiert werden. Vorkenntnisse daher natürlich: Griechischkenntnisse, sonst keine.
Literatur: Griechischer Text: Aristoteles, Politica, hg. von W. D. Ross in der Reihe der Oxford Classical Texts; Oxford 1957 und öfter. Deutsche Übersetzung: Aristoteles, Politik, übers., eingel. und erl. von E. Schütrumpf; Meiner, Hamburg 2012. |