Kommentar |
„Where I am, there is Germany“, lautet ein vielzitiertes Diktum Thomas Manns aus dem amerikanischen Exil. Sein Selbstverständnis als Bewahrer deutscher humanistischer Tradition, Vollender des psychologisch-realistischen Romans und nicht zuletzt als Repräsentant großbürgerlichen Lebensstils markiert einen Anspruch, dem sich der Nobelpreisträger von 1929 zeitlebens unterwarf. Seit der posthumen Veröffentlichung seiner Tagebücher (1977-1995) ist allerdings biografisch belegbar, was für den aufmerksamen Leser seiner Werke keine Überraschung sein konnte: Die Selbststilisierung zum souveränen Leistungsethiker, zum abgeklärten Ironiker, zum lebensweisen Familienvater verbarg beständige Selbstzweifel, hohe nervliche Belastung, sexuelle Gefährdungen, massive Skrupel und Todessehnsüchte einer zutiefst ambivalenten Persönlichkeit, die sich in das selbstverordnete Bild nur unter hohen psychischen Kosten einzufügen vermochte. Aus diesem Spannungsfeld ist ein literarisches Lebenswerk hervorgegangen, das heute unbestritten zur Weltliteratur gehört.
Die Vorlesung rekonstruiert in der ersten Hälfte die geistigen und sozialen Konstanten in Thomas Manns Denken und Schreiben, wie z.B. sein Verhältnis zu Philosophie und Musik, zur Bürgerlichkeit oder zur Sexualität, aber auch seine Entwicklung vom ‚unpolitischen‘ Konservativen zum aktiven Gegner des Nazi-Regimes und zum Weltbürger mit amerikanischem Pass. In der zweiten Hälfte werden insbesondere die großen Romane zwischen den Buddenbrooks (1901) und den Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull (1954) in Einzelinterpretationen vorgestellt. |
Literatur |
Primärliteratur: Ziel der Vorlesung ist es, neugierig auf die Texte zu machen – und der zu erwartende Wissens- und Verständnisgewinn fällt umso größer aus, je mehr Sie bereit sind, sich auf die eigenständige Lektüre möglichst vieler Texte Thomas Manns einzulassen! Wer die Buddenbrooks noch nicht kennt, sollte in jedem Fall (und schon in der vorlesungsfreien Zeit!) mit diesem berühmten Debütroman Thomas Manns beginnen und die Erzählungen Tonio Kröger und Tod in Venedig dazunehmen. Fortgeschrittenen Thomas-Mann-LeserInnen empfehle ich vor allem den Zauberberg und die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull.
Anschaffen sollten Sie sich, soweit erschienen, die jeweils neuesten Taschenbuch-Ausgaben des Fischer-Verlages (Reihe Fischer Klassik). Diese sind seitenidentisch mit den Text-Bänden der noch nicht ganz abgeschlossenen Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe (GKFA) der Werke Thomas Manns und bieten damit auch den bestmöglichen editorischen Standard: Buddenbrooks (Fischer Klassik 90400, 9.99€); Der Zauberberg (Fischer Klassik 90416, 13 €); Doktor Faustus (Fischer Klassik 90403, 12.99 €); Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (Fischer Klassik 90417, 9.99 €); Frühe Erzählungen (Fischer Klassik 90405, 9.99 €, darin vor allem: Tonio Kröger; Der Tod in Venedig). – Auch auf Thomas Manns umfangreichstes Werk, die Tetralogie Joseph und seine Brüder, wird in der Vorlesung eingegangen. Hier liegt aber die Neuausgabe im Rahmen der GKFA noch nicht vor; ersatzweise ist auf ältere Ausgaben des Fischer-Verlags zurückzugreifen.
Sekundärliteratur: Einen guten Eindruck von der Fülle und Qualität der Forschungsliteratur vermitteln z.B. Julia Schöll: Einführung in das Werk Thomas Manns. Darmstadt 2013 (Wissenschaftliche Buchgesellschaft, im regulären Buchhandel 17.95 €), Hermann Kurzke: Thomas Mann. Epoche – Werk – Wirkung (München 4. Auflage 2010, 19.95 €), sowie, konkurrenzlos knapp und sehr preiswert, Hugh Ridley/Jochen Vogt: Thomas Mann. Paderborn 2009 (UTB Profile 3283, 3.90€). |