Kommentar |
Selbst Jesus fährt nicht einfach so in den Himmel auf. Er braucht dazu eine Wolke. Ikarus stürzt ins Meer, weil die Sonne das Wachs seiner Flügel schmelzen lässt. Helios steuert den Lauf der Sonne mithilfe seines Wagens. Und was wäre Charon ohne seinen Nachen? In allen mythischen Erzählungen sind bestimmte Vehikel im Einsatz. Ausgehend von diesen Beobachtungen wollen wir nach den Bedeutungen fragen, die Fortbewegungsmittel in literarischen Texten hervorbringen. Was heißt es, wenn einer tagein tagaus seinen Dienst in einem Bahnwärterhäuschen versieht wie Bahnwärter Thiel? Was bedeutet es, wenn zwei Teenager sich ein Auto klauen und damit in die Walachei fahren wollen, obwohl sie sich nicht einmal sicher sind, ob es sie wirklich gibt oder ob es nur ein Wort ist? Wie kommt es, dass zwei Menschen auf der Flucht vor der Polizei einen Hubschrauber kapern wie in Tom Tykwers Film Heaven. Sind sie wie Jesus oder wie Ikarus? Solchen Fragen wollen wir anhand von Fortbewegungsmitteln in der Literatur nachgehen.
Das Seminar vertieft dabei die im Grundkurs erworbenen analytischen Fähigkeiten und gibt darüberhinaus Einblicke in die Metapherntheorie. Denn ein Vehikel ist nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern auch eine Metapher für die Metapher.
Bis zum Semesterbeginn lesen Sie bitte als Einführung Gerhard Kurz: Metapher, Allegorie, Symbol. Eine schriftliche Zusammenfassung der Kapitel zur Metapher und zum Symbol ist Teil der Seminarleistung und dient uns als Grundlage für weitere Seminardiskussionen. Wir lesen neben den erwähnten auch für den Schulunterricht kanonischen Texten Bahnwärter Thiel von Gerhard Hauptmann und Tschick von Wolfgang Herrndorf, Apostoloff von Sybille Lewitscharoff und weitere Vehikeltexte, wie die Kutschen und Droschken bei Fontane und Flaubert. Darüber hinaus bietet das Seminar anhand von Tom Tykwers Film Heaven und weiterer Filmbeispiele eine Einführung in die Filmanalyse. |