Kommentar |
Sätze wie „Ob ich es nun tue, oder nicht, es macht ja doch keinen Unterschied“ tun wir gemeinhin als einfache Ausrede ab. Und oft stimmt das wohl. Aber was ist mit Fällen, in denen meine individuelle Handlung tatsächlich keinen Unterschied macht, viele dieser Handlungen aber durchaus gute oder schlechte Ergebnisse haben würden?
Kandidaten für Fälle dieser Art – für sogenannte Fälle gemeinschaftlichen Handelns („Collective Actions“) – sind im Alltag oft zu finden: der anthropogene Klimawandel; unser Konsumverhalten in Hinblick auf Produkte, hergestellt unter eigentlich nicht gebilligten, menschenunwürdigen Produktionsbedingungen; Spenden; die kontrollierte Aufnahme von Flüchtlingen – immer scheint die korrespondierende Handlung (eine Fahrt mehr mit dem Auto, ein weiteres T-Shirt vom billigen Textil-Discounter, ein paar Euro mehr oder weniger, die Aufnahme eines weiteren Flüchtlings) für sich genommen keinen Unterschied zu machen. In ihrer Häufung jedoch machen solche Handlungen unbestreitbar gravierende Unterschiede. Manche Moraltheoretiker sehen in solchen Fällen ein Problem für den Konsequentialismus: Wie, so fragen sie, kann der Konsequentialismus in solchen Fällen zu adäquaten Beurteilungen einer Handlung kommen, wenn doch für jede der Handlungen gilt, dass jene zusammen mit anderen Handlungen hervorgebrachten Ergebnisse nicht Konsequenz der einzelnen Handlung ist? Wie kann dann auch nur eine Handlung falsch sein? Aber muss nicht genau das der Fall sein? Oder machen alle alles richtig, obgleich die Handlungen zusammen absehbar zu nicht optimalen Ergebnissen führen?
Obwohl sich entsprechende Fragen bis in die Antike zurückverfolgen lassen, soll in diesem Seminar das Augenmerk auf einen wichtigen Strang der Debatte gelegt werden. Wir wollen herausfinden, ob in der Debatte viele eigentlich ganz unterschiedliche Probleme diskutiert werden, oder ob es sich nicht doch eher um ein und dasselbe Problem unter unterschiedlichem Gesichtspunkt handelt – Stichworte sind: Überdetermination, Trittbrettfahrer („Free Riders“), gemeinschaftlicher Schaden („Collective Harm“) und unwahrnehmbare Unterschiede („imperceptible Differences“).
Literatur (Vorauswahl): A.C. Ewling: “What Would Happen If Everybody Acted like Me?” in Philosophy, Vol. 28, No. 104, 1952, pp. 16-29. Jonathan Glover & M. Scott-Taggart: ”It Makes no Difference Whether or Not I Do It” in Proceedings of the Aristotelian Society, Vol. 49, 1975, pp. 171-209 Donald Regan, Utilitarianism and Cooperation, Oxford University Press 1980, Kapitel 1 und 8 Derek Parfit, Reasons and Persons, Oxford University Press 1984, Kapitel 3 Jon Elster: ”Rationality, Morality, and Collective Action” in Ethics, Vol. 96, No. 1, 1985, pp. 136-155 Kristin Shrader-Frechette: ”Parfit and Mistakes in Moral Mathematics” in Ethics, Vol. 98, No. 1, 1987, pp. 50-60 Frank Jackson: ”Group Morality” in Metaphysics & Morality, Hrsg.: Philip Pettit et al, 1987, pp. 91-110 Derek Parfit: “What We Together Do”, nicht veröffentlicht, 1988. Torbjörn Tännsjö: ”The Morality of Collective Actions” in The Philosophical Quarterly, Vol. 39, No. 155, 1989, pp. 221-228 Michael Otsuka: ”The Paradox of Group Beneficence” in Philosophy & Public Affairs, Vol. 20, No. 2, 1991, pp. 132-149 Shelly Kagan: ”Do I Make a Difference”, in Philosophy & Public Affairs, Vol. 39, No. 2, 2011, pp. 105-141 Julia Nefsky: ”Consequentialism and the Problem of Collective Harm: A Reply to Kagan” in Philosophy & Public Affairs, Vol. 39, No. 4, 2012, pp. 364-395 Kai Spiekerman: ”Small Impacts and Imperceptible Effects” in Midwest Studies In Philosophy, Vol. 38, 2014, pp. 75-90 David Killoren & Bekka Williams: ”Group Agency and Overdetermination” in Ethical Theory and Moral Practice, Vol. 16, 2013, pp. 295-307 Russel Hardin: ”The Free Rider Problem” aus der SEP, 2003
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