Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Tragödie fast ausschließlich der Behandlung öffentlich-politischer Themen und Konflikte vorbehalten. Ihr Schauplatz ist also die Sphäre politischen Handelns, ihre Hauptfiguren sind Träger politischer Macht. Themen und Konflikte des Privaten dagegen haben ihren angestammten Platz in der Komödie.
Vor diesem Hintergrund stellt die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine kleine Revolution in der Geschichte des deutschsprachigen Trauerspiels dar, denn es fordert die Tragödienfähigkeit auch der Lebenssphäre jenseits der sog. repräsentativen Öffentlichkeit fürstlicher Herrschaft ein und stellt die ernste Behandlung privater Themen und Konflikte in den Mittelpunkt der Dramenhandlung.
Unter Berücksichtigung ihrer historischen Voraussetzungen wird diese ästhetische Innovation im Seminar anhand prominenter Textbeispiele untersucht. Neben den ‚Klassikern’ des bürgerlichen Trauerspiels (Lessings Miss Sara Sampson, Emilia Galotti, Philotas) werden (heute so genannte) triviale bürgerliche Trauerspiele (Pfeils Lucie Woodvil, Brawes Der Freigeist), werden Vorbilder (Lillos Der Kaufmann von Londen) und Repräsentanten der weiteren Gattungsgeschichte (Schillers Kabale und Liebe) behandelt.
Einige der Texte sind schwer zugänglich. Sie werden vor Semesterbeginn in einem Seminarapparat als Kopiervorlage zur Verfügung gestellt.
Literatur zur Einführung: Karl S. Guthke: Das deutsche bürgerliche Trauerspiel. 6. vollst. überarb. und erw. Auflage. Stuttgart; Weimar: Metzler 2006. |