Kommentar |
Auch wenn wir uns im Alltag mehr oder weniger mühelos durch Raum und Zeit bewegen, werfen sie doch eine Vielzahl philosophischer Probleme auf, insbesondere in Bezug auf die in Raum und Zeit stattfindende Bewegung: Bereits Parmenides und Zeno bezweifeln, dass Bewegung und Veränderung mehr als nur ein Schein sind, trotz ihrer alltäglichen Gegenwart; eines von Zenos Argumenten beruft sich dabei darauf, dass es zum Zurücklegen einer Strecke notwendig ist, zuerst die Hälfte dieser Strecke zu überwinden, vom Rest wieder die Hälfte usf. – sodass man nie ankäme. Aber auch wenn man weniger skeptisch bezüglich Bewegung ist, stellen sich vielgestaltige Fragen: Wie sollte man den Raum auffassen – als „Behälter“ materieller Gegenstände, dem doch eine unabhängige Existenz zukommt, oder ist der Raum vielmehr bloß der „Zwischenraum“ zwischen diesen Gegenständen, mithin durch sie und ihre Lagebeziehungen konstituiert? Analog kann man sich in Bezug auf die Zeit fragen, ob sie „vergeht“, auch wenn sich nichts verändert? Zudem scheint die Zeit eine ausgezeichnete Richtung (von der Vergangenheit zur Zukunft) zu besitzen, für den Raum ist dies nicht mehr naheliegend; wie kommt diese Richtung zustande, und wie hängt dies mit der Frage nach Ursache und Wirkung zusammen? (Und natürlich könnte man viele weitere Fragen ergänzen, die sich mit unserem Raum- und Zeitempfinden befassen; man kann sogar der Auffassung sein, dass Fragen bezüglich Raum und Zeit in nahezu allen anderen philosophischen Themenfeldern relevant sind.) Diese jahrtausendealte philosophische Diskussion kann heute nicht mehr ohne Bezug zu den Naturwissenschaften, vor allem zur Physik, geführt werden, denn bereits Galilei und Newton legen mathematisch präzisierte Theorien der Bewegung vor, die Implikationen für das Verständnis von Raum und Zeit haben; durch Einsteins Relativitätstheorien wird dieses Verständnis aber nochmal gehörig umgekrempelt und etwa von Einstein selbst philosophisch reflektiert. Es ist also unerlässlich, dass wir uns um einen gewissen (sicherlich rudimentären) Einblick in die (mathematische) Physik von Raum, Zeit und Bewegung bemühen werden – das ist aber sehr lohnend: So sind diese Theorien nicht nur sehr schön und ansprechend, sie werden von den Physikern selbst teilweise durch bestechende Gedankenexperimente eingeführt und motiviert (und liefern somit Lehrstücke des Argumentierens); und sie können wahre Augenöffner sein, die zu einer ganz neuen Perspektive führen. Einen umfassende Einführung in die Thematik liefert etwa das folgende Buch: Martin Carrier (2009): Raum-Zeit, Berlin: de Gruyter. Die im Seminar behandelte Literatur und das genaue Programm werden in der ersten Sitzung besprochen und ausgehandelt, denn in diesem sehr umfangreichen Gebiet müssen Schwerpunkte gesetzt und dafür anderes weggelassen werden. |