Die neu eingerichtete Theaterwerkstatt dient der Vorbereitung der Aufführung Medea – Das arglose Mädchen als Folgeprojekt der Inszenierungen von Senecas Phaedra (2013) und Christian Klees’ Tragödie Dido und Aeneas nach Vergil (2015) am Saarländischen Staatstheater.
Bei der Gestalt der Kindermörderin Medea handelt es sich um einen meistrezipierten Sagen der griechischen Mythologie. Nach Euripides’ großer Medea-Tragödie, die noch heute Jahr für Jahr auf den Spielplänen deutscher Theater steht, ist eine lange abendländische Tradition der Rezeption und Neubearbeitung entstanden, die den Stoff immer wieder jeweils durch die Augen ihrer Zeit (um-) deutet.
Im 20. Jahrhundert sticht besonders der französische Dramatiker Jean Anouilh (1910 – 1987) als ausgemachter Kenner der antiken Literatur unter seinen Zeitgenossen heraus und deutet die Mythen für seine Zeit auf existentialistische Weise mit der sprachlichen Kraft der ihm eigenen lyrischen Prosa, ohne dass seine Dramen um die drei mythischen Gestalten Antigone, Eurydike und eben Medea heute – in unserer schnelllebigen Zeit – an Bedeutung verloren hätten. Anouilhs Medea (geschrieben 1946, uraufgeführt 1948 in Hamburg) zeichnet – auf der Grundlage von Senecas gleichnamigen Rezitationsdrama – die Geschichte des Liebespaars Medea und Jason an ihrem Ende als eine gescheiterte Ehe von vielen und führt das grausame Verbrechen der Protagonistin auf ihre charakterliche Disposition, ihre Unfähigkeit, barmherzig und beherrscht zu sein, zurück. Und im Angesicht der Zeitgeschichte wundert es nicht, wenn Jason am Ende den allgemeinen Wunsch formuliert, die dunkle Vergangenheit restlos überwinden zu wollen.
Knapp 2000 Jahre zuvor schrieb ein anderer Rezipient gewissermaßen die „ungehaltene Rede einer ungehaltenen Frau“ und damit einen Text, der ebenfalls im Besonderen die Liebesbeziehung von Medea und Jason und die Umstände ihres Scheiterns fokussiert. Gemeint ist der 12. Brief aus den Heroides des römischen Dichters Ovid. Da die monologartige Form dieser Texte in der Forschung immer wieder konstatiert wurde, soll Ovids fiktiver Liebesbrief der Medea als ausgearbeiteter Bühnenmonolog zusammen mit Anouilhs Drama aufgeführt werden.
Ziel der Übung ist es, sich den beiden Texten sowohl literaturwissenschaftlich als auch produktionsdramaturgisch zu widmen. Die Texte (Anouilh: Medea (mit Blick auf Senecas Medea), Ovid: Heroidenbriefe, 12. Brief) sollen gemeinsam – und immer mit Blick auf eine bühnenpraktische Realisierung – besprochen und analysiert werden. Die Ergebnisse werden schriftlich festgehalten und in einem Portfolio gesammelt, das die Grundlage einer späteren Begleitbroschüre bilden soll.
Die Seminararbeit wird ergänzt durch Vorträge von Kolleginnen und Kollegen aus Nachbarfächern wie der Romanistik oder der Sprechwissenschaft/Sprecherziehung (Ästhetische Kommunikation und Schauspielerhandwerk) und Erfahrungsaustausch mit Theaterleuten. Ein gemeinsamer DVD-Abend oder Theaterbesuch (idealerweise am Schauspiel Frankfurt für Michael Thalheimers preisgekrönte Medea-Inszenierung (Euripides)) sind ebenfalls geplant. |