Kommentar |
Lebenslanges Lernen – dies ist durchaus keine Erfindung unserer Tage. „So alt ich auch werde, ich lerne immer vieles dazu“, so formuliert schon um 600 v.Chr. der Athener Solon ein auf Lebenserfahrung und sowohl praktischem als auch theoretischem Umgang mit der Welt basierendes Bildungsideal, das in der griechischen Kultur spätestens seit Platon und den Sophisten von der Philosophie, dem systematischen, didaktisch vermittelbaren Streben nach theoretischer Erkenntnis geprägt ist und in Rom (vor allem ist hier Cicero zu nennen) nicht nur übernommen, sondern im Hinblick auf seine Anwendbarkeit für die Gesellschaft weiterentwickelt wird. Unter den spezifischen Bedingungen Roms bildete sich als Schwerpunkt eine praktische Zielsetzung heraus, nämlich die Ausbildung junger Römer der Oberschicht für eine Karriere im Rechtswesen und in der Politik. Eine besondere Stellung nimmt hier der aus dem romanisierten Spanien gebürtige Quintilian ein (ca. 35-100 n.Chr.). Als der erste bezeugte „Professor“ für Rhetorik legt er in seiner Institutio oratoria (Einführung in die Rhetorik) den Akzent ganz auf die Ausbildung des Redners, also auf den obersten der drei Grade des römischen Bildungswesens, wie es sich in der Kaiserzeit etabliert hatte. Doch der enorme Wert seines Werks, dem eine große Nachwirkung weit über das Altertum hinaus beschieden war, liegt für uns in der Fülle der Informationen, die es uns – neben den mannigfachen Hinweisen auf die für den angehenden öffentlichen Redner notwendigen Fertigkeiten – über die Auffassung von Bildung vermittelt, wie sie sich zu seiner Zeit herauskristallisiert hatte.
Im Seminar sollen in diesem Sinne wichtige Partien und Themen aus Quintilians Hauptwerk gemeinsam gelesen und interpretiert werden. |
Literatur |
Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen: M. Fabi Quintiliani Institutionis oratoriae libri duodecim, recognovit brevique adnotatione critica instruxit Michael Winterbottom (2 Bde., Oxford 1970); M. Fabi Quintiliani Institutionis oratoriae libri XII, ed. Ludovicus Radermacher. Addenda et corrigenda collegit et adiecit Vinzenz Buchheit (4. Aufl. Leipzig 1971, unveränd. Nachdr. der 3. Aufl. von 1965); Marcus Fabius Quintilianus: Ausbildung des Redners: zwölf Bücher, hrsg. und übersetzt von Helmut Rahn (3. Aufl. Darmstadt 1995, letzter Ndr. Darmstadt 2011)
Literatur: eine ausführliche Bibliographie wird in der ersten Sitzung ausgeteilt; für den ersten Überblick: Jorge Fernández López: Quintilian as Rhetorician and Teacher, in: William Dominik / Jon Hall (Hrsgg.): A Companion to Roman Rhetoric (Oxford 2007), 307-322; Thomas Schirren: Marcus Fabius Quintilianus, in: Wolfram Ax (Hrsg.): Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis Erasmus von Rotterdam (Köln u.a. 2005), 67-108; W. Martin Bloomer (Hrsg.): A Companion to Ancient Education (Chichester / Malden, Mass., 2015); Manfred Fuhrmann: Die antike Rhetorik. Eine Einführung (6. Aufl. Mannheim 2011); Wilfried Stroh: Die Macht der Rede. Eine kleine Geschichte der Rhetorik im alten Griechenland und Rom (Berlin 2009, Ndr. 2011); Johannes Christes / Roland Baumgarten (Hrsgg.): Handbuch der Erziehung und Bildung in der Antike (Darmstadt [WBG] 2006); Ilsetraut Hadot: Geschichte der Bildung. Artes liberales, in: Fritz Graf (Hrsg.): Einleitung in die lateinische Philologie (Stuttgart / Leipzig 1997), 17-34; Henri-Irénée Marrou: Histoire de l’éducation dans l’antiquité (Paris 1948, zuletzt 1981 Ndr. der 6. Aufl. von 1965), dt. Übers. von Charlotte Beumann nach der 3. Aufl. Paris 1955 unter dem Titel „Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum“ (Freiburg 1957, Ndr. München 1977) |